Zuverlässige Vorhersage von Zuständen in Prozessanlagen (Projekt TwinGuide)

Prozessstabilität und Produkteigenschaft voraussagen – mit digitalen Zwillingen und Simulationen

Herstellungsprozesse in der Chemie- und Lebensmittelindustrie müssen präzise, effizient und sicher sein. Die verfahrenstechnischen Produktionsanlagen sind deshalb speziell für das individuelle Endprodukt ausgelegt, um ideale Produktergebnisse zu liefern. Die Steuerung der komplexen Anlagen übernehmen automatische Prozessleitsysteme. Wird die Prozessanlage im Lauf der Zeit teilweise ersetzt, ändern sich die Spezifikationen der herzustellenden Produkte oder stehen Produktwechsel an, muss auch die Prozesssteuerung angepasst werden.

Im Projekt TwinGuide machen wir Prozessanlagen fit für die Zukunft und verbinden den digitalen Anlagenzwilling mit (Echtzeit-)Simulationen der im Inneren ablaufenden Prozesse. Aus dieser Kombination entsteht ein prozessintelligenter digitaler Zwilling, der eine exakte Anpassung von Prozessparametern und eine vorausschauende Prozesssteuerung ermöglicht.

© Fraunhofer IFF, Viktoria Kühne
Ein digitaler Zwilling kann mehr sein, als nur das Abbild einer realen Prozessanlage. Angereichert mit Prozesswissen schafft er die Voraussetzungen für eine vorausschauende Prozesssteuerung.

Digitale Transformation in der Prozessindustrie

Knappe Ressourcen, schwankende Rohstoffqualität, steigende Energiekosten, Fachkräftemangel, komplexe rechtliche Vorgaben und ungeplante Ausfallzeiten von Anlagen – die Prozessindustrie steht vor vielfältigen Herausforderungen. Schon wenige Minuten Stillstand einer Anlage bringen die gesamte Produktions- und Lieferkette durcheinander. Industrie-4.0-Lösungen helfen Unternehmen der Chemie-, Pharma- und Lebensmittelindustrie dabei, Prozessexzellenz zu erzielen und ihre Ertragsstärke nachhaltig zu verbessern.

Bislang ermöglichen digitale Zwillinge vor allem einen vereinheitlichten Zugriff auf aktuelle und historische Daten, Statusinformationen und Anlagendokumente. Im Projekt TwinGuide entwickeln wir den klassischen Ansatz des digitalen Anlagenzwilling für die Prozessindustrie kontinuierlich weiter. Ausgestattet mit Prozessintelligenz und der Fähigkeit, Zustandsdaten automatisch zu erfassen, ermöglicht der digitale Zwilling eine schnelle und genaue Abbildung der Prozessabläufe in den Anlagen im großen Maßstab und Prognosen über den weiteren Produktionsverlauf und über das Einhalten von Produktionsanforderungen.

Ein digitaler Zwilling muss Daten und Berechnungen leicht zugänglich, hochverfügbar und dennoch sicher bereitstellen. Eine intuitive Bedienung ist maßgeblich für eine erfolgreiche Integration.

Prozessstörungen und Fehlproduktionen mit steuerbarem, digitalem Abbild verhindern

Verfahrenstechnische Trennprozesse und Stoffumwandlungsprozesse mit kontinuierlichem Stoff- und Energiefluss werden in der Anlagenverfahrenstechnik mit Hilfe von Fließschemasimulationen modelliert. Computerunterstützt lassen sich so chemische und petrochemische Anlagen sowie biochemische und metallurgische Prozesse simulieren und optimieren.

Wir nutzen instationäre Fließschemasimulationen unseres universitären Partners, um Prozessabläufe am Beispiel der Wirbelschicht-Sprühgranulation vorherzusagen und Empfehlungen für die Einstellung der Anlagensteuerung zu geben.

Welche Rohmaterialien werden in der Produktion eingesetzt? Welche chemisch-physikalischen Eigenschaften (z. B. Dichte, Viskosität) besitzen die Rohstoffe? Welche Eigenschaften soll das Endprodukt haben? Diese Informationen sind wichtig für den Prozess und den störungsfreien Anlagenbetrieb. Sie können als Parameter von Fließschemasimulationen automatisiert ausgewertet werden.

Wir kombinieren das digitale Abbild einer Prozessanlage mit Fließschemasimulationen und schließen die Lücke zwischen Simulation und realem Prozess.

Prozessintelligenz durch Simulation und IoT

Die Intelligenz des digitalen Zwillings stammt aus den dahinterstehenden Modellen der Simulation, die kontinuierlich umfangreiche Online- und Offline-Daten mit sehr hohem Detaillierungs- und Verarbeitungsgrad schneller als in Echtzeit verarbeiten. Eine eigens entwickelte Kommunikationsschnittstelle ermöglicht die Verknüpfung von Simulationsergebnissen und dem digitalen Prozessabbild. Die Simulationsergebnisse fließen in Echtzeit in den Anlagenbetrieb ein.

Echtzeit-Betriebsupdates, Warnungen vor unsicheren Anlagenzuständen und Handlungsempfehlungen versetzen Fachkräfte im Anlagenbetrieb in die Lage, einen Schritt voraus zu sein und schnellere, intelligentere Entscheidungen für Betriebsoptimierungen zu treffen.

Der prozessintelligente digitale Zwilling kann Grundlage für ein Assistenzsystem sein, dass

  • vor künftigen Anlagenfehlern und unsicheren Anlagenzuständen warnt,
  • verschiedene Handlungsszenarien zeigt und Empfehlungen gibt,
  • eine Prozessführung ermöglicht, die auf wechselndes Energie- und Rohstoffangebot reagiert,
  • für stabile Fertigungsprozesse rund um die Uhr und gleichbleibende Qualität sorgt.

Eingesetzt wird das neue Prozessleitsystem beim Anwendungspartner Pergande zunächst im Labormaßstab, später aber auch in größere Anlagen implementiert. Wir erwarten eine Effizienzsteigerung im Bereich der Lohnproduktion um ca. 15 Prozent durch höhere Anlagenverfügbarkeit.

Erwartete Projektergebnisse in TwinGuide

  • Demonstrator für das Beispiel einer Wirbelschicht-Sprühgranulationsanlage
  • Modellierung und Simulation einer Wirbelschicht-Sprühgranulation
  • Softsensoren für Diagnose und Prognose
  • universelle Kommunikationsschnittstelle und Framework für prozessintelligente digitale Zwillinge
  • Assistenzsystem für Anlagenbedienung und -steuerung mit dynamischen Handlungsempfehlungen

Projektinfo

Projekttitel

»TwinGuide – Entwicklung eines intelligenten digitalen Zwillings zur Vorhersage und Steuerung des Prozessverlaufs mittels transienter Fließschemasimulation am Beispiel der Wirbelschichtsprühgranulation«

Stichworte

Prozessanlage, Prozesstechnik, Verfahrenstechnik, Prozessintelligenz, prozessintelligenter digitaler Zwilling, Prozesssimulation

Projektlaufzeit

09.2021 bis 08.2024

Projektpartner

  • Fraunhofer IFF 
  • IPT Pergande GmbH
  • Technische Universität Hamburg

Projektförderung

DFG Förderprogramm